Als ehemaligen Schüler des Canisius-Kollegs beschäftigen mich die Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder durch Ordenspriester an dieser und an anderen katholischen / jesuitischen Schulen.
Nein, ich selbst gehöre nicht zu den Betroffenen, aber die Missbrauchsfälle werden für mich vollends zum Skandal dadurch, dass die Kirchenoffiziellen die Täter nicht nur gewähren ließen, sondern ihnen durch Vertuschen ihrer Taten und Ignorieren der Angaben der Betroffenen weitere Kinder zuführten, die dann ebenso missbraucht wurden.
Bei der Aufklärung der Vorwürfe bewiesen die Jesuiten zunächst ihre sattsam bekannte rhetorische Brillanz. Von Scham und Erschütterung ist da die Rede, von den Strukturen, die den Missbrauch erleichtert hätten, bis zur Entschuldigung und der Bitte um Vergebung: Aber es fehlt (wie Matthias Katsch, der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ (keine Mailadresse im Juli 2021) vollkommen richtig schreibt) genau ein Aspekt: zusätzlich zu einer in die Vergangenheit gerichteten „Bitte um Entschuldigung“ ein in die Gegenwart und Zukunft gerichtetes „wir übernehmen Verantwortung.“
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Es gibt eine ausgezeichnete Fernsehdokumentation, die 2012 den Grimme-Preis bekommen hat, über den Missbrauch an der Odenwaldschule, die sehr eindrücklich zeigt, wie geschlossene Gesellschaften, ganz gleich welcher Strömung (konservativ ebenso wie antiautoritär) gleichermaßen in den Missbrauch führen.
Die Erklärung hierfür liefert der Psychologe Christoph Walker gegen Ende der Dokumentation: „Was nützt das alles, diese Öffentlichkeit, diese Diskussion, das Leid wird dadurch nicht geringer. Ja, das stimmt. (…) die Opfer müssen mit diesem Leid bis ans Ende ihres Lebens leben. Wir können höchstens etwas wegnehmen von einem äußeren Rahmen. Wenn ich jetzt auf der Homepage (der Odenwaldschule) lese, dass die Schule wieder zu einem ‚besonderen, einem einmaligen Ort gelingender Erziehung werden soll‘, dann möchte ich darauf hinweisen: streichen Sie ‚besonderen‘, streichen sie ‚einmaligen‘, streichen sie es sofort! Das ist genau der Punkt, wie geschlossene Gesellschaften entstehen, ob in Ettal oder an der Odenwaldschule, das ist ein Elitegedanke, das ist ein Korpsgedanke, wir gehören zu etwas ganz Besonderem, das ist für Kinder und für Erwachsene, auch für Erwachsene, hochattraktiv, denn es spielt mit der Grundangst des Menschen, ausgeschlossen zu werden, nicht dazuzugehören, alleine zu bleiben, einsam zu bleiben. Und an dieser Stelle greifen diese Mechanismen, unabhängig ob katholisch, protestantisch oder liberal / Landschulheim-geprägt.“
Eine der Autorinnen des Fernsehbeitrages sagt danach aus dem off: „Menschen, die Kinder missbrauchen, können sich in der Regel darauf verlassen, dass ihr Umfeld mit dafür sorgt, dass ihre Verbrechen im Verborgenen bleiben. Was auch immer uns zum Verschweigen, Wegsehen und Vertuschen bringt, es macht uns zu Komplizen der Täter.“
Angesichts der erdrückenden Schwere der Taten und der lebenslangen Folgen für die Betroffenen empfinde ich die Höhe der bisher ausgezahlten Gelder (wohl um die 5.000€) und die quälende Antragsprozedur als erneute Verhöhnung und Demütigung. Ich würde mir wünschen, dass der Orden an sie herantritt mir der Frage: „Wie können wir Ihnen helfen und Sie unterstützen, was brauchen Sie, um Ihr Leben beziehungsweise Ihr familiäres Umfeld ein wenig gerade zu rücken?“
Und dann wird der eine antworten: „ich will von euch nichts annehmen“ und eine Zweite „ich bin drüber weg, lasst mich in Ruhe“ und ein Dritter wird sagen: „Wegen euch verantwortungslosen Deppen habe ich schon 100.000 Euro in Psychotherapien gesteckt und Verdienstausfall in ähnlicher Höhe gehabt, die möchte ich zurück haben.“
Und ich finde, wenn man das Geld hat, und die katholische Kirche hat zweifellos hinreichende Mittel, dann soll man es ihm geben. Und wenn die Kirche sich nicht hinter den Orden stellt und die deutsche „Societas Jesu“ daran bankrott geht: wen kümmert’s?
Unsere Zivilgesellschaft braucht keine Gesellschaft Jesu, deren „Geschäftsmodell“ anscheinend auch darin bestand, Kinder zu missbrauchen, die Taten zu vertuschen, die Täter zu schützen und sie aktiv dem Zugriff der „weltlichen“ Justiz zu entziehen.